Ein Herz aus Schnee

Früher hatte ich diesen Tag gehasst. Die Schule war immer voll von Mädchen, die mit roten Rosen herumstolzierten, Jungs, die übertrieben große Pralinen verschenkten und Pärchen, die sich in den Gängen küssten, als gäbe es kein Morgen. Ich hatte mich immer wie eine Außenseiterin gefühlt. Als würde dieser Tag für alle anderen existieren, nur nicht für mich.

Aber dieses Jahr war es anders.

Dieses Jahr hatte ich Yannik.

Ich zog meinen Schal enger um meinen Hals, während ich durch den verschneiten Park lief. Der eisige Wind biss in meine Wangen, doch das leichte Kribbeln in meinem Bauch verdrängte die Kälte. Mein Herz schlug schneller, als ich ihn endlich entdeckte.

Yannik stand mitten auf einer freien Schneefläche, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben und den Blick leicht gesenkt. Doch es war nicht nur sein Anblick, der mich innehalten ließ, sondern das Herz aus Schnee, in dem er stand.

Ein großes, perfekt geformtes Herz, das er mit seinen Füßen in den Schnee getreten hatte.

Mein Atem stockte, während ich einen Schritt näher trat.

„Yannik …“

Er sah auf und als sein Blick auf mich fiel, breitete sich ein warmes Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Da bist du ja.“

Ich blieb vor ihm stehen und vor dem Herz stehen, mein Herz klopfte viel zu schnell. „Das hast du gemacht?“

Er zuckte locker mit den Schultern. „Ich dachte, wenn ich dir schon keinen roten Teppich ausrollen kann, dann wenigstens das hier.“

Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also trat ich zu ihm in das Herz hinein und ließ mich von ihm in seine Arme ziehen. Die Kälte verschwand, sobald er mich hielt.

„Das ist wunderschön“, murmelte ich gegen seine Brust.

Yannik zog mich noch ein Stück näher, dann spürte ich seine Lippen sanft auf meinem Haar. „Das ist aber nicht alles“, flüsterte er.

Neugierig löste ich mich von ihm und er zog eine kleine Schachtel aus seiner Jackentasche. Mein Herz machte einen Satz, als er sie mir reichte. Vorsichtig öffnete ich sie und erstarrte.

Drinnen lag eine feine Silberkette mit einem kleinen, detailliert gearbeiteten Buch als Anhänger. Mein Blick glitt über die feine Gravur auf dem Deckel: “Für immer dein Kapitel.”

Mir blieb die Luft weg.

„Yannik …“

Er fuhr sich kurz durch die Haare, als wäre er sich nicht sicher, ob er das Richtige getan hatte. „Ich wollte dir etwas schenken, das dich immer an uns erinnert. Du liebst Bücher, du liebst Geschichten … und für mich bist du meine Lieblingsgeschichte.“

Meine Kehle fühlte sich plötzlich eng an. Mein Herz war so voller Wärme, dass ich kaum wusste, wohin mit all den Gefühlen.

„Darf ich?“, fragte er leise und deutete auf die Kette.

Ich nickte stumm.

Behutsam löste er meinen Schal, ließ ihn langsam über meine Schultern gleiten, während seine Finger sanft meine Haut streiften. Ich spürte, wie mir, trotz der Kälte, die Wärme in die Wangen stieg, doch ich ließ es geschehen. Ich ließ zu, dass er meinen Schal um seinen Hals warf und den Verschluss von meiner neuen Kette öffnete. Als ich mich umdrehte, spürte ich seine Nähe hinter mir.

Langsam legte er mir die Kette um, seine Finger zitterten kaum merklich, als er den Verschluss schloss. Dann legte er seine Arme um mich und zog mich sanft an sich.

„Perfekt“, murmelte er und sein Atem kitzelte meine Haut.

Gemeinsam blickten wir über den verschneiten Park. Vor uns lag genau die Stelle, an der wir uns zum ersten Mal begegnet waren. Damals hatte ich ihn versehentlich mit einem Ball am Kopf getroffen, ein unbeholfener Moment, der damals nicht mehr bedeutet hatte als eine kurze Begegnung. Und doch hatte genau diese Begegnung uns letztendlich hierhergeführt.

Ein Lächeln huschte über mein Gesicht.

„Ich hab auch etwas für dich“, sagte ich schließlich und drehte mich zu ihm um.

Er zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Für mich?“

Ich kramte in meiner Tasche und zog eine kleine Skizze hervor. Mein Herz pochte aufgeregt, als ich sie ihm reichte. Es war eine Zeichnung von ihm, von genau diesem Moment damals im Park. Wie er völlig versunken mit seinem Bruder Frisbee spielte und ich ihn zum ersten Mal richtig wahrnahm. Jede Bewegung, jeder Ausdruck hatte sich mir damals ins Gedächtnis eingebrannt.

Seit Tagen hatte ich an dieser Skizze gearbeitet, immer wieder an den Linien gefeilt, unsicher, ob ich sie ihm wirklich geben sollte.

Er sah sie lange an, sein Blick wanderte über jede Linie, jedes Detail. Dann sah er mich an  und dieses Mal war es nicht nur ein Lächeln auf seinen Lippen, sondern etwas Tieferes, Wärmeres, das mich direkt ins Herz traf.

„Spatz …“, sagte er leise und strich vorsichtig mit den Fingern über die Zeichnung. „Das ist … wunderschön.“

Ich biss mir auf die Unterlippe. „Ich wollte dir etwas geben, das dich immer an uns erinnert.“

Er grinste. „Du meinst, falls ich mal vergesse, wie hübsch ich bin?“

Ich lachte und schlug ihm spielerisch auf den Arm. „Nein, du Idiot.“

Er lachte ebenfalls, zog mich dann aber plötzlich wieder in eine Umarmung. Dieses Mal war sie fester, bedeutungsvoller.

„Danke“, flüsterte er gegen meine Haare. „Für das beste Valentinsgeschenk, das ich je bekommen habe.“

Ein Lächeln huschte über meine Lippen, während ich die Wärme seiner Umarmung genoss. In diesem Moment gab es nur uns, den leichten Schnee, der um uns tanzte und das leise Knirschen unter unseren Füßen.

Das war nun mein erster richtiger Valentinstag und er hätte nicht schöner sein können.


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