Dir allein vertraute meine Seele

Triggerwarnung

Band 1 meiner Buchreihe „Not Alone“ und in sich abgeschlossen.

Hier bekommst du mein Buch:

XXL-Leseprobe herunterladen:

Ein Liebesroman über die Schattenseiten des Lebens

Besonderheiten des Buches

„Dir allein vertraute meine Seele“ ist die Neuauflage von „Du bist nicht allein“ meines Debütromans aus dem Jahr 2022.

Die Zeiten ändern sich, so auch die Geschmäcker der Menschen bei einem Buchcover. Das ist auch einer der Hauptgründe, weshalb ich im Jahr 2024 meinen Debütroman unter dem Titel „Dir vertraute meine Seele“ neu herausbrachte.

Ein zweiter und auch sehr wichtiger Grund ist die Tatsache, dass viele Leser fragten: „Wie geht es Jasmin nach den ganzen negativen Erlebnissen heute?“ Dazu kamen Leserwünsche wie: „Marlene und Sonja könnten doch auch ihre eigene Geschichte erhalten. Ich habe sie ebenfalls sehr in mein Herz geschlossen.“

Da ich schon selbst mit diesem Gedanken spielte, entstand zeitgleich das Projekt „Not Alone – Buchreihe“ und da bekanntlich alle Bücher einer Reihe zusammenpassen sollten, empfahl es sich, ein Cover zu wählen, welches Buchreihen tauglich ist.

Leseprobe

Prolog

Als sie nach Hause kam, fiel die Tür lautstark hinter ihr ins Schloss.

»Was hab ich nur getan?«, fragte sie sich zum hundertsten Mal und pfefferte die Tüte mit dem Essen auf die Flurkommode. Danach warf sie alles andere in eine Ecke und ging ins Wohnzimmer. Wie immer lagen dort ihre Klamotten kreuz und quer auf der Couch verteilt. Sie stöhnte, schmiss mit einer Handbewegung alles herunter und ließ sich selbst darauf plumpsen.

Eigentlich wollte sie nur Bratnudeln für sich und ihren besten Kumpel holen. Einfach nur gebratene Nudeln zum verspäteten Mittagessen. Warum musste ihr dabei nur so etwas passieren? Gerade heute! Hatte sie nicht schon genug durchgemacht und ausreichend Probleme?
Ihr Tag fing bereits stressig an. Nachts schlief sie kaum und hatte daher fast verschlafen. In der Schule folgte ein ernstes Gespräch mit dem Vertrauenslehrer, aber zum Glück half Schweigen und Herunterspielen. Nachdem sie endlich Schulschluss hatte und sich auf ihren Kumpel freute, traf sie ausgerechnet diese eine Mitschülerin.

Warum gerade sie? Wäre sie ihr dort nicht begegnet, wäre sie nicht so aufgewühlt losgefahren und dann wäre das alles nicht passiert. Der Hass, welchen sie schon lange verspürte, verhärtete sich. Wieso geschah ihr jedes Mal so ein Mist? Weshalb musste sie gerade dieser Person über den Weg laufen, die sie am wenigsten mochte? Ohne diese Begegnung wäre sie nicht so aufgewühlt losgefahren und dann wäre das alles nicht passiert.

Warum durfte sie nicht glücklich sein? Weshalb war alles so ungleich verteilt: Liebe, Freundschaft und Geborgenheit? Dabei wünschte sie sich nichts sehnlicher als ihre beste Freundin zurück.

Doch zum Glück hatte sie Freaky. Er war ihr bester Kumpel und ein PC-Nerd. Deshalb hatte sie ihm auch diesen Spitznamen verpasst.
Die Türklingel riss sie aus ihren trüben Gedanken. Lustlos schlurfte sie zur Tür, öffnete, um gleich darauf wieder kehrtzumachen. Auf ein gemeinsames Essen hatte sie jetzt wirklich keine Lust mehr. Sie wollte nur noch in Selbstmitleid baden und ihren Gefühlen freien Lauf lassen.

Wenn diese unerträgliche Person nur endlich ihre gerechte Strafe erhalten würde, dann könnte sie wieder unbeschwert atmen und ihr Leben genießen.

Im Wohnzimmer angekommen, ließ sie sich erneut auf das Sofa fallen und starrte an die Decke.

Erst als sich ihr Freund neben sie setzte, sah sie zu ihm und traf auf seinen fragenden Blick. Seine Augenbrauen waren hochgezogen und sein Mund öffnete und schloss sich wieder. Es wirkte, als wollte er etwas sagen, aber sich nicht traute.

Zwischen ihnen entstand ein langes Schweigen. Jeder hing in seinen Gedanken fest. Nach einer Weile fragte er doch.

»Was ist los? War heute wieder etwas in der Schule?«

Erschrocken zuckte sie zusammen.

»Nichts«, gab sie ihm tonlos zur Antwort und hoffte, dass er nicht weiter nachfragte. Jedoch merkte sie, wie er sie skeptisch musterte. Offenbar überzeugte ihn die Antwort nicht.

»Die Nudeln stehen auf der Kommode, wenn du Hunger hast«, sagte sie emotionslos, um von der Frage abzulenken. »Gabeln sind in der Küche, du weißt ja wo.«

Mit dem Essen in der Hand setzte er sich kurz darauf wieder neben sie. Sie wusste genau, dass sie ihm nichts vormachen konnte, deshalb richtete sie sich auf und zog die Beine an.

Mehrmals holte sie tief Luft und ließ diese lautstark wieder heraus. Schließlich begann sie zaghaft zu erzählen.

»Ich hab eine Frau angefahren. Die tauchte einfach auf dem Zebrastreifen auf. Als ich sie gesehen hab, war es schon zu spät. Aber das lag …«

»Stopp!«

Erschrocken schnappte sie nach Luft und sah ihn unsicher an. Sein fassungsloser Blick ruhte auf ihr.

»Dein Ernst?«

Zögernd schüttelte sie ihren Kopf.

»Das lag aber nicht an mir …«, verteidigte sie sich, doch er unterbrach sie ein weiteres Mal.

»Ist die Frau schwer verletzt?«

»Keine Ahnung«, antwortete sie mit einem Schulterzucken. »Ich hab einfach Gas gegeben und bin abgehauen.«

»Du bist was?«

Die vorwurfsvolle Stimme ließ sie erneut zusammenzucken.

»Wenn es nur das wäre«, sagte sie flüsternd, sodass er sie kaum verstand.

»Das war nicht alles?«

Erneut schüttelte sie den Kopf und sah dabei auf ihre Hände, die sie zu Fäusten ballte. Sie schien lange zu überlegen, ob sie es aussprechen sollte oder nicht. Irgendwann begann sie zu erzählen.

»Ich hab danach gleich bei der Polizei angerufen …«

»Das ist doch gut«, fiel er ihr ins Wort und legte seine Hand auf ihre. Prompt zog sie diese weg, sodass seine auf ihrem Knie zum Liegen kam.

Verzweifelt schaute sie ihn an und die ersten Tränen liefen ihr über die Wange.

»Was hast du erzählt?«, fragte Freaky und streichelte ihr über das Bein.

Einen Moment schwieg sie, bevor sie mit zittriger Stimme weitersprach.

»Ich hab nicht die Wahrheit gesagt«, brachte sie flüsternd heraus.

»Bitte was?« Sie konnte spüren, dass er Schwierigkeiten hatte, alle Informationen zu verarbeiten. »Was hast du gesagt?«

»Na ja, ich habe …«, druckste sie herum und sah dabei auf den Tisch vor ihr.

»Jetzt aber raus damit!«, sagte er ernst und setzte sich gerade hin. Die Schale mit Bratnudeln, welche er immer noch in der einen Hand festhielt, hatte er mittlerweile vergessen und stellte sie zur Seite.

Unter Tränen schilderte sie alles und ließ dabei kein einziges Detail aus.

»Du bist …« Freaky schüttelte ungläubig seinen Kopf und brach den Satz ab. Er konnte es nicht fassen, was er da gehört hatte.

»Sag nichts! Ich hab es diesmal richtig verbockt.«

Ihr Kumpel blickte sie immer noch geschockt an.

Nach einer Weile legte er seine Stirn in Falten.

»So würde es klappen«, murmelte er gedankenverloren.

Irritiert sah sie ihn an. Sie verstand nicht, was er damit sagen wollte. Verschmitzt lächelte er und sagte: »Ich hab eine Idee, wie du da unbeschadet wieder rauskommst!«

Ein Monat zuvor …

Kapitel 1

Mit einem Auge auf den Bildschirm meines Handys und dem anderen auf mein widerspenstiges Haar, versuchte ich verzweifelt, den Anweisungen eines YouTube-Tutorials zu folgen. Doch meine langen, rotblonden Haare hatten heute andere Pläne. Egal, wie oft ich es versuchte, ich bekam diese coole Flechtfrisur nicht hin.

Ein Klopfen an der Badezimmertür ließ mich gestresst stöhnen.

»Jasi, ich muss aufs Klo!«, schrie mein Bruder und ein erneutes, entschlossenes Pochen folgte.

Ich seufzte, während ich versuchte, eine weitere Haarsträhne in die Frisur zu flechten. Nur zog ich in meiner Anspannung an der falschen Strähne und versaute das bisher mühsam erschaffene Haarwerk.

»Na klasse!« Gereizt tippte ich mehrmals auf die Stopptaste, bis das Video endlich anhielt. »Bin ich denn für alles zu blöd?«

Ungeduldig trommelte mein Bruder erneut gegen die Tür und ein genervtes »Jasi!« ertönte.

»Jaaa, gleich!«

Verzweifelt löste ich die letzten verschlungenen Haarsträhnen voneinander. Ich verstand nicht, warum ich es nicht hinbekam. Das Flecht-Tutorial war so einfach aufgebaut, dass sogar ein Kleinkind es hätte schaffen können.

»Jasi!«, brüllte mein Bruder und drückte von außen wie wild die Türklinke, dass diese klapperte.

»Mann!«, bluffte ich zurück, band mir hastig einen Pferdeschwanz und öffnete frustriert die Tür.

Sobald ich den Schlüssel im Schloss umgedreht hatte, sprang die Tür auf und Flo drückte sich an mir vorbei.

»Tür zu!«, schrie er und ich verschwand schleunigst aus dem Bad.

Flo, eigentlich Florian, war mein drei Jahre älterer Bruder und wir verstanden uns sehr gut. Er hatte die Realschule abgeschlossen und absolvierte nun eine Ausbildung zum Physiotherapeuten.

Unzufrieden mit meiner missglückten Frisur taumelte ich die Treppe hinunter und räumte in der Küche lustlos den Tisch ab.

Ich hasste es jedes Mal, wenn unsere Eltern wieder einmal für mehrere Wochen beruflich verreisten und dadurch die ganze Arbeit an Flo und mir hängen blieb.

Dazu kam, dass ich heute keinen Bock auf die Schule hatte, denn in der zweiten Stunde stand ein angekündigter Test in Chemie an. Gelernt hatte ich, aber die chemischen Prozesse und Formeln waren absolut nicht meins.

»Hast du mal auf die Uhr geschaut?«, rief Flo von oben herunter, während er zu mir nach unten kam.

»Nope«, erwiderte ich und packte in Seelenruhe weiter Brotdose und Trinkflasche ein.

»Du musst jetzt wirklich los!«

Ein flüchtiger Blick auf die Uhr ließ meinen Herzschlag kurz aussetzen. Ich hatte nur noch zwanzig Minuten bis zum Stundenbeginn. Rasch schnappte ich mir den Rucksack und schlüpfte in meine Schuhe.

Eilig lief ich los, stoppte jedoch an der Kita, um kurz zu verschnaufen. Ich war völlig aus der Puste.

Es war ein herrlicher Frühlingstag und beim Anblick der spielenden Kinder im Garten hätte ich am liebsten die ersten beiden Stunden abgesagt, um mit ihnen Zeit zu verbringen. Ich freute mich schon sehr auf mein Praktikum, das ich dort in ein paar Wochen machen durfte.

Doch das Klingeln meines Smartphones erinnerte mich sofort wieder an die Schule. Aus Erfahrung wusste ich, dass es um diese Zeit nur meine zwei Besten sein konnten, die wissen wollten, wo ich bleibe.

Zügig hastete ich weiter, in Gedanken war ich jedoch bei den Kindern und spielte mit ihnen im Sand.

Genau zum Stundenklingeln betrat ich den Musikraum. Unsere Lehrerin war am Lehrertisch beschäftigt, sodass sie mein Ankommen nicht wahrnahm. Schnell lief ich zu meinem Platz, an dem meine zwei besten Freundinnen schon auf mich warteten.

»Da bist du ja endlich!«, begrüßte mich Marlene erleichtert und zog mich in eine Umarmung, bei der ich mal wieder ihre langen, schwarzen Haare im Gesicht hatte. Sonja dagegen sah mich mit einem finsteren Blick an.

»Irgendwann knallt es noch wegen deines ständigen Zuspätkommens.«

»Hast ja recht«, nuschelte ich und packte meine Schulsachen aus.

Pünktlichkeit war einfach nicht meine Stärke, weshalb ich beiden extrem dankbar war, dass sie mich schon so oft vor dem Zuspätkommen bewahrt hatten.

Meine Gedanken schweiften zurück in die Zeit, als Sonja und ich Marlene wie die Pest gemieden hatten. Erst als sich mein Bruder Hals über Kopf in sie verliebte, entstand unsere Freundschaft wie ein Wunder aus dem Nichts.

Am Anfang war es schon sehr lästig, dass Marlene, Jessicas beste Freundin, bei uns zu Hause ständig wie ein Kaugummi an Flo klebte. Doch mit der Zeit entstand eine starke Freundschaft zwischen uns dreien und Jessica verlor an Bedeutung.

Anderthalb Jahre waren seitdem vergangen und mittlerweile waren wir mit meinem Bruder zu einer unzertrennlichen Viererclique zusammengewachsen.

Mein Blick schweifte in die letzte Reihe zu Jessica, einer Mitschülerin mit kurzem, blondem Haar, die mich mit einem aufgesetzten Lächeln ansah. Prompt zog sich mein Magen zusammen und mein Puls beschleunigte sich.

»Und wer kam wieder zu spät?«, fragte sie lautstark und beantwortete sofort selbst ihre Frage. »Natürlich das Kleinkind.«

Sogleich fingen alle an zu lachen und ich war wie immer die Lachnummer.

Tief einatmend, ignorierte ich ihre spitze Bemerkung und ließ mich auf meinen Stuhl sinken. Marlene, die vor mir saß, verdrehte die Augen, während Sonja neben mir lautstark erwiderte: »Das sagt gerade das Plappermaul.«

»Du hast nichts zu melden, Zwerg«, kam es prompt aus der letzten Reihe. Meine Freundin knirschte mit den Zähnen.

»Lass gut sein«, flüsterte ich ihr zu, doch sie schüttelte energisch den Kopf, sodass ihre schulterlangen, blonden Haare hin und her flogen.

»Nur weil ich klein bin, muss sie nicht ständig darauf herumhacken.«

Marlene, die einen Platz vor uns saß, sah zerknirscht aus.

Ich wunderte mich wieder einmal, wie sie früher mit Jessica befreundet sein konnte. Jessica war wirklich nicht die Hellste, sodass sie damals die Siebte wiederholen musste und zu uns in die Klasse kam. Nur dank Marlene, die ihr immer bei den Hausaufgaben und Klausuren geholfen hatte, konnte sie auf dem Gymnasium bleiben.

»Sonja, es bringt nix«, sagte Marlene und sah sie eindringlich an. »Sei stolz, dass du mit 1,59 Meter mehr im Kopf hast als sie mit 1,75 Meter.«

Meine Sitznachbarin beruhigte sich und sortierte, ohne etwas zu erwidern, ihre Schulsachen neu.

»Hat es dem Zwerg die Sprache verschlagen?«

Jessica war eindeutig in ihrem Element und fand kein Ende.

Bevor Sonja explodieren konnte, kam ihr Marlene zuvor und antwortete in ruhigem und sachlichem Ton: »Nein, hat es ihm nicht. Nur Zwerge wissen, wann sie am besten schweigen sollten.«

Während sie das Wort Zwerge aussprach, formte sie Anführungszeichen in die Luft.

»Schluss jetzt!«, rief Frau Mausberger uns zur Ruhe. »Heute geht es nicht um Zwerge oder Riesen, sondern?« Sie machte eine kurze Pause und ließ ihren Blick durch die Klasse schweifen. »Jessica?«

Diese lief rot an und vergrub ihr Gesicht in ihrem Hefter. Zögernd kam von ihr die Antwort.

»Beethoven?«

»Schön, dass du vorige Woche mitgeschrieben hast. Heute wollten wir uns aber mit Georg Friedrich Händel beschäftigen.«

Die Klasse stöhnte. Ich hätte auch lieber gesungen, statt mich mit Beethoven, Händel oder sonst wem auseinanderzusetzen.

Unauffällig kramte ich meinen neuen lilafarbenen Zeichenblock aus dem Rucksack und begann meine Lieblingsblumen auf das Deckblatt zu zeichnen. Glockenblumen sollten es werden. Strich für Strich ließ ich die Blüten auf dem Papier erblühen, alles andere war vergessen: die langweilige Schulstunde, die Lehrerstimme.

»Psst, Jasi …«, flüsterte Sonja neben mir und stieß mich sachte mit ihrem Ellenbogen an. Erschrocken blickte ich auf und entdeckte, dass Frau Mausberger schon recht viel über den Komponisten an die Tafel geschrieben hatte. Unbemerkt legte ich meinen Zeichenblock zur Seite und schrieb die Informationen in meinen Hefter.

Ich hatte gerade das letzte Wort abgeschrieben, als es zur Pause klingelte und fast alle fluchtartig aus dem Raum stürmten. Meine Mädels und ich ließen uns dagegen Zeit und verstauten im Schneckentempo unsere Sachen.

»Jetzt haben wir Chemie«, stöhnte Sonja und warf sich ihren Rucksack als Erste über die Schulter. Dann verabschiedeten wir uns von Frau Mausberger, doch diese hielt uns zurück und sah mich eindringlich an.

»Ich habe heute nichts gesagt. Wenn du aber wieder zu spät kommst, lass ich es nicht mehr durchgehen, verstanden? Das ist bei dir mittlerweile zur Normalität geworden.«

»Ja, ich weiß«, sagte ich schuldbewusst und sah sie zerknirscht an. »Ich werde mich bessern, versprochen.«

»Das erwarte ich und jetzt raus mit euch.«

***

»Habt ihr gelernt?«, fragte Sonja auf dem Weg zum Chemieraum und rückte damit den Test wieder in den Fokus.

»Yep, haben wir«, antwortete Marlene für uns beide, da wir gestern gemeinsam bei mir gelernt hatten.

»Aber etwas durchlesen und begreifen sind zwei verschiedene Sachen«, fügte ich geknickt hinzu.


»Was ich euch noch erzählen wollte«, sagte Marlene und überging meine Aussage. »Jessica rief mich gestern Abend an und fragte, ob wir heute den Test in Chemie schreiben.«

»Was? Gestern Abend erst …«, entfuhr es Sonja und sah uns mit großen Augen an. »Also, ich glaub ja nicht, dass sie danach noch den ganzen Stoff in ihren Kopf bekommen hat.«

Marlene stimmte ihr nickend zu.

»Jasi und ich haben gestern vier Stunden lang gebüffelt und dachten, unser Schädel platzt gleich!«

»Mir ging es genauso«, meinte Sonja und fügte genervt hinzu: »Da können wir uns ja jetzt auf eine Diskussion einstellen.«

»Wohl wahr«, murmelte ich vor mich hin. Der Chemietest nagte schon genug an meinen Nerven, da hatte ich echt keinen Bock auf Jessicas Theater. »Statt im Unterricht blöde Sprüche zu klopfen, sollte sie lieber zuhören und aufpassen.«

Vor dem Chemieraum trafen wir den Rest der Klasse und unsere schlimmste Befürchtung wurde wahr. Jessica war gerade dabei, alle zu überreden, Herrn Klaus weiszumachen, dass wir nichts von dem Test gewusst hätten.

Verärgert fragte sie: »Leute, habt ihr jetzt Bock auf den Test?«

»Ich nicht«, erwiderte Karl und sein bester Kumpel Paul, stimmte ihm zu.

»Und ihr?«, wiederholte sie ihre Frage für die anderen und ließ keine Widerrede zu. Eingeschüchtert schüttelte der Rest der Klasse den Kopf und Jessica begann, ihr Vorhaben detailliert zu beschreiben.

Frustriert drehte ich mich zu meinen Freundinnen.

»Das bringt doch nichts«, stöhnte ich. »Gegenüber anderen Lehrern erwähnt er schon seit Wochen diesen Test.«

»Vor allem verlieren wir dadurch Zeit«, murmelte Marlene und ließ ihre Schultern hängen. »Zeit, die wir brauchen.«

Sie war genauso gefrustet wie ich.

In diesem Moment kam Herr Klaus.

Mit Mühe kramte er in seiner übervollen Hosentasche nach seinem Schlüssel, was wie immer alle zum Lachen brachte.

»Man weiß ja nie, was bei dem noch so alles in der Tasche hockt«, ließ Jessica von sich hören und das Gelächter wurde lauter.

Konnte sie nicht einmal ihren vorlauten Mund halten?

Ich könnte sie …

»Wehe, ihr haltet nicht die Klappe!«, unterbrach sie meine Mordgedanken. Genervt sah ich sie an und blieb prompt an ihrem drohenden Zeigefinger hängen. »Dann …«

»Was dann?«, fragte Sonja und plusterte sich vor ihr auf.

»Das wirst du schon sehen, Zwerg.«

Damit schob sie Sonja unsanft zur Seite und ließ uns stehen.

»Jetzt hab ich aber Angst«, zischte Sonja und sah uns mit ihren grünen Augen eindringlich an. »Wehe, ihr macht bei dem Schmierentheater mit, verstanden?«

»Natürlich nicht.« Marlene schüttelte energisch den Kopf und folgte Sonja in den Chemieraum.

Ich war mir dagegen nicht so sicher, hoffte, dass das geplante Lügentheater sich rasch in Luft auflöste und ich nicht selbst Stellung dazu nehmen musste.

Doch direkt nach dem Stundenklingeln brach eine heftige Diskussion mit dem Chemielehrer aus. Jeder versuchte ihm begreiflich zu machen, dass wir nichts von einem Test wussten. Allen voran Jessica.

Missmutig sah ich zu meinen Mädels, die neben mir saßen.

Marlene verdrehte die Augen.

Ich stöhnte.

Noch zwei Jahre bis zum Abi.

Mein Smartphone vibrierte in der Hosentasche. Kurz sah ich zu Herrn Klaus, der noch immer in die Auseinandersetzung vertieft war. Langsam zog ich es heraus und aktivierte das Display.

Flo – Was er wohl will?

Ein weiterer Blick zu meinem Lehrer zeigte, dass er ganz hinten im Raum stand und er mich nicht in seinem Blickfeld hatte. Schnell öffnete ich die Nachricht und las:

Flo:
»Ich soll dich von Mama und Papa grüßen. Sie hatten nicht viel Zeit und haben deshalb nur kurz angerufen. Sie sind vor einer Stunde gut auf Mallorca gelandet. Bis später, Flo« (8:47)

Am liebsten wäre ich mitgeflogen, doch da ich nicht wochenlang in der Schule fehlen konnte, musste ich hierbleiben. Aber bei diesem Wortgefecht wünschte ich mir jedoch nichts sehnlicher, als bei ihnen am Strand zu liegen.

Schnell steckte ich das Handy wieder weg und das keine Sekunde zu spät, denn Herr Klaus kam geradewegs auf mich zu. Hoffentlich hatte er es nicht entdeckt. Mein Herz fing an zu rasen.

»Jasmin, da du gerade nicht wirklich anwesend zu sein scheinst, kannst du mir ja sagen, ob ihr von dem Test wusstet?«

Seine Verärgerung war nicht zu überhören.

Na super, warum hatte ich auf das Smartphone geschaut? Was sollte ich antworten? Wäre es besser, zu lügen? War das mein Niveau?

Ich spürte die Blicke der anderen auf mir. Was ist, wenn Jessica die Drohung wahr machte? Kurz sah ich zu ihr.

Sofort deutete sie mit einer schnellen Geste an, dass sie mir den Hals durchschneidet, falls ich reden würde.

Mein Herz raste und Panik stieg in mir auf.

»Jasmin?« Herr Klaus sah mich eindringlich an und wartete auf eine Antwort.

Was sollte ich nur sagen?

Nach kurzem Überlegen entschied ich mich, mir treu zu bleiben, egal, was ich damit anrichtete.

»Ja, wir wussten es«, gab ich zu und hoffte, dass Jessica sich nur aufgespielt hatte und ihre Drohung nicht durchzog.

»Na dann, Zettel raus!«, rief daraufhin Herr Klaus wütend und verteilte die Aufgabenzettel.

»Zwölf Aufgaben«, entfuhr es mir. Wie sollten wir die alle in einer halben Stunde schaffen?

Danke, Jessica!

Frustriert wandte ich mich den Fragen zu. Im Hintergrund fing erneut die Hälfte der Klasse an zu diskutieren.

»Ruhe jetzt!«, brüllte unser Chemielehrer. Erschrocken sah ich auf. Ich hatte ihn noch nie so aggressiv erlebt. »Wer jetzt nicht still ist, bekommt von mir sofort eine Sechs und kann sich im Sekretariat melden.«

Schlagartig war Ruhe und man hörte nur noch leises Stöhnen und Zettel rascheln.

Als es klingelte, hatte ich gerade die letzte Aufgabe beantwortet. Erleichtert packte ich meine Sachen. Die Lautstärke im Raum stieg wieder.

inige Mitschüler fingen lauthals mit Schimpfen an.

»Hättet ihr nicht mit mir diskutiert, hättet ihr auch mehr Zeit gehabt.« Ungerührt sammelte Herr Klaus die Tests ein.

Prompt sprangen die ersten Schüler auf.

»Halt!«, schrie er frustriert. »Ich beende den Unterricht!«

Er wartete, bis sich alle wieder gesetzt hatten.

»Wer gelernt hat, konnte das locker in einer halben Stunde schaffen.« Während er sprach, sah er jeden Einzelnen an. »Ich hoffe, dass so eine Diskussion einmalig war, denn ein Test muss nicht immer explizit angekündigt werden.« Bei dieser Aussage schaute er besonders zu Jessica, die seinem Blick auswich und mich grimmig ansah. »Und nun dürft ihr gehen.«

Sofort stürmten alle aus dem Raum, bis auf Jessica. Sie blieb an der Tür stehen und fixierte mich mit einem stechenden Blick. Als ich ihre Worte hörte, rannte mir ein eisiger Schauer über den Rücken.

»Das wirst du noch bereuen!«

Dann verschwand sie, ohne sich ein weiteres Mal umzudrehen.

»Ich glaub nicht, dass etwas kommt«, meinte Sonja, bevor wir ebenfalls den Chemieraum verließen.

Sonjas Worte, so tröstend sie auch gemeint waren, schafften es nicht, mir die Angst zu nehmen. Denn Jessicas Blick hing mir regelrecht nach.

Schweren Herzens folgte ich Marlene und Sonja auf den Schulhof. Die Last der Drohung drückte schwer auf meinen Schultern.
Vor der Tür stoppte Marlene und sah mich mit ihren braunen Augen verständnisvoll an.

»Keine Angst«, flüsterte sie und schloss mich fest in ihre Arme. »Wir stehen das zusammen durch. An deiner Stelle hätten wir genauso reagiert.«

Dankbar für ihre aufmunternden Worte löste ich mich aus ihrer Umarmung und zwang mir ein Lächeln ab.

»Heute passiert bestimmt nichts mehr«, sagte Sonja mit einem schiefen Lächeln und lief wieder weiter.

Mit tiefen Atemzügen versuchte ich die lähmende Angst in meinem Inneren zu vertreiben. Mir blieb keine andere Wahl, als auf Sonjas und Marlenes Worte zu vertrauen. Mit zögernden Schritten folgte ich ihnen auf den Schulhof.

In den darauffolgenden Stunden ging Jessica uns aus dem Weg. Sie warf mir zwar immer wieder bitterböse Blicke zu, sagte aber nichts. Marlene vermutete, dass sie mit ihrer Niederlage kämpfte. Sonja dagegen ging davon aus, dass sie über einem Racheplan brütete. Ich war einfach nur dankbar, dass sie mich in Ruhe ließ.

***