Ein Familienausflug mit Folgen

Ich hatte diesen Tag schon seit Wochen herbeigesehnt. Endlich Wochenende, endlich Sonne und endlich unser geplanter Familienausflug zum großen Waldspielplatz!

Schon als wir aus dem Auto stiegen und den knirschenden Waldweg entlangliefen, war mein Herz voller Vorfreude. Die Sonne streichelte mein Gesicht, der Wind roch nach Moos, nach Freiheit und kleinen Abenteuern. Neben mir hüpfte mein kleiner Bruder Tim wie ein Flummi durch den Wald.

„Wann sind wir da? Ist es noch weit? Gibt’s da wirklich Wasser?“, plapperte er darauf los.

„Gleich da vorne“, antwortete Papa lachend, während Mama sich ihre Sonnenbrille in die Haare schob.

Und dann – endlich – tauchten zwischen den Bäumen die Klettertürme auf. Ich blieb wie verzaubert stehen. Mein Atem stockte. Der Platz war riesig! Überall spielende Kinder, Wasserfontänen, Rutschen, Schaukeln, Klettergerüste, Matschküche, Hängebrücken. Ein reines Paradies mitten im Wald für uns Kinder. 

„Na, endlich!“, rief Tim begeistert und rannte los.

„Nicht so schnell!“, lachte Mama hinterher. „Wir suchen erstmal ein schönes Plätzchen fürs Picknick.“

Ungeduldig liefen wir vorneweg und entschieden, dass wir genau neben dem Wasserbereich Picknicken wollten. Nachdem wir unsere Decke unter einer alten, schattenspendenden Eiche ausgebreitet hatten, stellte ich die Tasche mit dem Sandspielzeug ab, trat in den warmen Sand und blieb einfach stehen. Der Sand war so weich, weshalb ich nicht anders konnte, als meine Schuhe auszuziehen, um den feinen Sand zwischen meinen Zehen hindurch rieseln zu lassen. Und nebenbei, Barfuß spielen ist doch sowieso das Schönste.

„Ich geh schon mal zur Matschküche!“, rief ich und winkte Tim zu mir. Gemeinsam warfen wir uns lachend in den feuchten Sand, formten dicke Matschkugeln, türmten Sand auf und gruben Tunnel.

„Ich mach eine große Burg!“, sagte Tim stolz und klatschte nassen Sand auf einen Hügel.

„Ich baue einen Graben drumherum!“, rief ich und buddelte ein großes Loch.

Und dann passierte es.

Als mein Burggraben fertig war, stand ich auf und ein stechender Schmerz durchzuckte meinen Fuß. Ich taumelte ein paar Schritte zurück und starrte anschließend entsetzt auf den Boden. Eine spitze Glasscherbe lag halb vergraben im Sand. 

„Johanna?“, fragte Tim, der plötzlich ganz blass war. „Du blutest ja!“

Dann sah ich es auch. Von meinem Fuß tropfte dunkelrotes Blut und er schmerzte höllig.

„Ich … ich bin in diese Glasscherbe getreten.“ Meine Stimme zitterte. Ich wollte stark bleiben, nicht weinen, wirklich nicht. Aber der Schmerz war so stark und ich hatte Angst.

Tim zögerte keine Sekunde.

„Mamaaa! Papaaa! Schnell! Johanna blutet!“, schrie er und rannte los.

Wenige Sekunden später kniete Mama vor mir. Ruhig. Sie war ganz bei mir. Mit sanften Händen nahm sie meinen Fuß hoch und betrachtete die Wunde. Papa kam mit der Wasserflasche und dem kleinen Erste-Hilfe-Set aus dem Rucksack angerannt.

„Das wird wieder“, sagte Mama leise, während sie Papa, dass Wasser abnahm und den Sand von meinem Fuß abwusch. Ich biss die Zähne zusammen. Es brannte höllisch, aber ich hielt still. Ich wollte nicht, dass sie sich noch mehr Sorgen machten.

Während Mama vorsichtig mit einem Taschentuch meinen Fuß wieder trocken tupfte, suchte Papa im Erste-Hilfe-Set nach einem Pflaster.

„Ein Einhorn-Pflaster oder ein langweiliges?“, fragte er und zwinkerte mir zu.

„Einhorn“, flüsterte ich mit einem schiefen Grinsen. Ein bisschen musste ich trotzdem lachen.

Tim stand ganz nah bei mir, seine Stirn in tiefe Falten gelegt. „Tut es sehr weh?“

Ich nickte. „Wenn ich ehrlich bin, sehr. Ich war einfach nur dumm, dass ich meine Schuhe ausgezogen habe.“

Mama sah mich ernst an. „Das nächste Mal bleibst du besser in den Sandalen, ja? Man sieht nicht, was da alles im Boden steckt.“

Ich schluckte. Der Schmerz in meinem Fuß war nichts gegen den Kloß in meinem Hals. Mama, hatte ja auch völlig recht. 

Und dann …  Dann legte Tim seine Arme um mich. Einfach so. Ganz fest.

„Ich bleib bei dir. Ohne dich zu spielen, macht ja sowieso keinen Spaß“, sagte er leise.

Da konnte ich nicht mehr. Tränen liefen mir über die Wangen. Aber diesmal nicht wegen des Schmerzes. Sondern weil mein kleiner Bruder mir in genau dem Moment das größte Geschenk gemacht hatte: Dasein. Bedingungslos.

„Komm, wir bringen dich zur Decke“, sagte Papa, während Mama mich stützte. Ich konnte kaum auftreten, also hielten sie mich an beiden Armen und gemeinsam humpelten wir langsam zurück zur Eiche. Jeder Schritt tat weh. 

„Noch zwei Meter, dann bist du auf deiner Picknickdecken-Throninsel“, scherzte Papa.

Tim rannte voraus und breitete die Decke noch etwas weiter aus. „Setz dich hier hin. In den  Schatten. Ich hol dir noch was.“

Ich ließ mich vorsichtig nieder und atmete tief durch. Der Schmerz war noch da. Aber nicht mehr so doll. 

Plötzlich tauchte Tim wieder auf. In seinen Händen hielt er ein kleines Matschherz. Krumm. Schief. Und doch so wunderschön.

„Für dich. Aus Spezialmatsch. Damit es nicht mehr so lange weh tut.“

Ich lachte durch die Tränen. „Danke, bester Bruder der Welt.“

Papa setzte sich zu mir, Mama strich mir behutsam über die Wange und dann packten wir das Picknick aus. Wir aßen und wir lachten. Ich saß da, mit einem Einhorn-Pflaster am Fuß, einem vollem Bauch und einem Gefühl, das größer war als jedes Spielplatz-Abenteuer.

Wir waren einfach zusammen, wenn auch nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber ich wusste, dass ich nie allein bin. Denn, wenn mal was schiefläuft, sind Mama, Papa und Tim da. Und das ist das schönste Gefühl der Welt.


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert